„Denken Sie Schule ganz neu“ – Der Kongress schulentwicklung.digital

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Schüler fordern den digitalen Wandel auf der Konferenz schulentwicklung.digital

Nach der Auftaktveranstaltung am 11.6. fand nun am 28.9. die nächste Veranstaltung der neu gegründeten Initiative „Forum Bildung Digitalisierung“ statt. In Berlin trafen sich in erster Linie Vertreter aus Schulen und Bildungseinrichtungen, die gemeinsam die Frage erörterten, wie die Digitalisierung der Schulen gelingen kann.

Erstklassige Vorbereitung

Die Professionalität und Ernsthaftigkeit der Veranstaltung, die den Namen „Workshop“ wirklich verdient, wurde bereits zu Beginn deutlich. Mit großem Aufwand wurden die Statements einzelner engagierten Lehrkräfte und Schulen gesammelt und im Internet als Video präsentiert.

Das Ergebnis ist ein in dieser Form einzigartiges Kaleidoskop an unterschiedlichen Ansätzen und Ideen, die „Pflichtlektüre“ für alle Schulleiter und -träger werden sollte, die einen digitalen Umbau ihrer Schule in Erwägung ziehen.

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Unbedingt nachahmenswert: Die Vorbereitung auf den Kongresses erfolgte mit Videos.

Es blieb jedoch nicht beim Video-Input – alle Protagonisten aus den Videos waren auch vor Ort und konnten auf einem „Flipped Marketplace“ befragt werden. Die „Hausaufgabe“ lautete daher im Vorfeld der Veranstaltung, zwei Fragen zu jedem Video zu notieren. Das sorgte dafür, dass man schnell ins Gespräch kam und sehr gezielt an die Informationen gelangen konnte, die man benötigt – großes Lob an die Agentur J&K für die Vorbereitung!

Aus meiner Sicht ist diese Vorgehensweise der Goldstandard für Konferenzen im digitalen Zeitalter – der Input erfolgt zu Hause, wenn man Zeit zum konzentrierten Zuhören hat, die Zeit vor Ort wird zum Austausch genutzt. Könnte das bitte ab jetzt bei allen Konferenzen so sein?

Prägnanter Input

Ganz ohne „Frontalunterricht“ kam jedoch auch diese Konferenz nicht aus. Den Beginn machte Uta-Micaela Dürig von der Robert-Bosch-Stiftung, die u. a. seit 2006 den Deutschen Schulpreis vergibt.

In ihrem Grußwort machte sie deutlich, was aus ihrer Sicht die beiden zentralen Fragen in Hinblick auf die Digitalisierung der Schulen sind: 1.) Wie können wir sicherstellen, dass digitale Medien zu einer Qualitätssteigerung des Unterricht führen und 2.) Wie stärken wir die Lehrkräfte im Umgang mit digitalen Medien?

Die erste Frage resultiert direkt aus der letzten OECD-Studie, die gezeigt hat, dass Länder, die massiv in eine digitale Infrastruktur an der Schule investiert haben, keine besseren PISA-Ergebnisse erreicht haben. Digitale Medien bringen also nicht per se eine Verbesserung des Unterrichts. Es kommt auf das Wie an.

Um die Lehrkräfte zu begeistern, sollten laut Dürig vor allem Freiräume geschaffen werden. Neuere Studien haben nämlich gezeigt, dass Lehrkräfte nur selten zusammenarbeiten, obwohl sich fast alle Lehrerinnen und Lehrer genau das wünschen.

Schule am Tipping Point

Nach einem kurzen Input von Schülerinnen und Schüler, in denen sie ihre Wünsche an die Digitalisierung der Schule gestellt haben, hielt Prof. Frank Thissen einen inhaltlich sehr dichten Vortrag über die Folgen der Digitalisierung. Der Grundtenor dabei lautete, dass sich Schulen radikal verändern müssen – oder wie es der von Thissen zitierte Mark Prensky treffend ausdrückt:  „Two things are wrong with our school system – what we teach and how we teach“.

Wie weit die Digitalisierung vorangeschritten ist, zeigte er anhand einiger Beispiele vom Farmbot über Drohnen die Brücken und Häuser bauen bis hin zur Granny Cloud oder der App „Be my Eyes“.

Unser heutiger gesellschaftlicher Wandel sei vergleichbar mit der zur Zeit der Reformation oder der Industrialisierung. Wir sind dabei, den Tipping Point zu erreichen, der das Internet so selbstverständlich macht wie heute das Stromnetz. So wie sich heute niemand ein Leben ohne Strom vorstellen kann, sei bald auch ein Leben ohne Internet nahezu unmöglich.

Der Rat von Thissen an die Schulen lautet daher auch: Ignorieren Sie Verbote, machen Sie sich auf den Weg! Schule muss sich öffnen, externe Experten in die Klassen holen und zu einer Art Experimentallabor werden. Kurz zusammengefasst: „Denken Sie Schule ganz neu!“

Die vielen Facetten der Digitalisierung

An über 20 Thementischen erfolgte dann am Nachmittag ein Austausch über die verschiedenen Aspekte der Digitalisierung von Schulen, von der Einrichtung der Netzwerk-Infrastruktur über Methoden digitalen Arbeitens bis hin zu OER und dem Kulturwandel in der Lehrerrolle.

Die Ergebnisse wurden zunächst in Etherpads festgehalten und werden nun aufbereitet und ausgewertet. Hier begann die Konferenz leider etwas an Schwung zu verlieren, denn statt an nur einem Thema zu arbeiten, erfolgte die Arbeit an drei verschiedenen Thementischen, wobei die letzten beiden Phasen nur jeweils 20 Minuten dauerten. Diese Zeit war meist schon nach der Vorstellung des bereits Erarbeiteten fast vorbei. Für eine sinnvolle Diskussion blieb keine Zeit.

Was bleibt?

Als Teilnehmer der Veranstaltung gehe ich mit gemischten Gefühlen nach Hause: Einerseits war es toll, alte Bekannte zu treffen und neue Gesichter kennenzulernen – natürlich war auch das Kennenlernen engagierter Schulen ein echter Gewinn.

Aber sowohl die Vorträge als auch eine Podiumsdiskussion mit der Schulleiterin Maike Schubert und dem Schulleiter Micha Pallesche machten deutlich, dass man bei der Veranstaltung sehr unter sich war. Kritik am Einsatz von Google Classroom, Microsoft OneNote oder iTunesU von Apple gab es kaum. Auch Probleme in Bezug auf Urheberrecht (und natürlich auch den Einfluss von Stiftungen auf das Bildungswesen) wurden nicht wirklich diskutiert.

„Es gab keine passive, nur aktive Teilnehmer“ hieß es am Schluss und das stimmt. Die Veranstaltung war sicherlich keine Zeitverschwendung, aber es bleiben Zweifel, ob der Transfer des hier Erarbeiteten ins Klassenzimmer gelingt.

Wer sich weiter informieren möchte: In Kürze wird eine Video-Dokumentation der Veranstaltung auf der Seite www.forumbd.de veröffentlicht. Für ganz Engagierte besteht auch die Möglichkeit, in den Etherpads noch bislang vergessene Aspekte zu vervollständigen.

Zudem wurde eine Ausschreibung gestartet: Schulen, die sich in Sachen Digitalisierung bereits auf den Weg gemacht haben, können sich bis zum 08. November bewerben und sich so mit anderen interessanten Schulen austauschen.

Sollen Stiftungen Bildungspolitik betreiben?

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Das Forum Bildung Digitalisierung will Wege & Ideen aufzeigen – mehr nicht?

Abzuwarten bleibt, welche Rolle die Initiative Bildung Digitalisierung – ein Zusammenschluss der Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Robert Bosch Stiftung und Siemens Stiftung, gefördert durch die Stiftung Mercator – in Zukunft noch spielen und wie groß ihr Einfluss auf die Bildungspolitik sein wird.

Ich persönlich bin mir auf jeden Fall noch nicht ganz sicher, inwieweit die Initiative ernsthaft nur Pro und Contra der Digitalisierung an Schulen erörtern will oder ob das Ziel nicht vielmehr auch in der Erschließung des Milliarden-Markts Schule besteht.

Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich das einmal sage, aber ich vermisse etwas die kritischen Stimmen. Es muss ja nicht gleich Manfred Spitzer sein, aber die Frage etwa, ob Schulen wie etwa das Ørestad Gymnasium, das radikal die Handschrift abgeschafft hat, wirklich ein Vorbild sein soll, sollte doch viel mehr „in der Gesellschaft“ diskutiert werden als er derzeit der Fall ist.

Bislang wird nämlich in Veranstaltungen der Initiative Forum Bildung Digitalisierung nahezu jede Kritik ausgeblendet und auch die eingeladenen Gäste stammen alle aus einer sehr homogenen „technophilen“ Gruppe, deren Engagement nun verallgemeinert und als Grundlage für einen Reformprozess dienen soll. Abgesehen davon, dass ich mir nicht sicher bin, ob das eine gute Idee ist, wird es so auf jeden Fall schwer, Lehrerinnen und Lehrer, die weniger begeistert von technologischen Wandel sind, von dessen Notwendigkeit zu überzeugen.

Das Internet öffnet im Klassenzimmer nicht nur Türen, sondern auch Abgründe und es geht nicht nur darum, wie wir Schule mit Neuem bereichern, sondern gleichzeitig auch immer darum, was wir stattdessen abschaffen.

Frank Thissen hat zurecht Tony Wagner zitiert mit seinem Ausspruch: „The ability to ask the right questions, is the single most important skill“. Und vielleicht sind ja das hier die richtigen Fragen: Ist die analoge Schule, die wir derzeit haben, wirklich so furchtbar? Ist das analoge Aufwachsen nicht auch eine gute Vorbereitung auf das digitale Leben? Warum haben gerade im ultradigitalen Silicon Valley genau diese „altmodischen“ Schulen Hochkonjunktur? Warum hat Steve Jobs seinen Kindern die Nutzung des iPads verboten? Gibt es sie nicht doch, die digitalen Nebenwirkungen? Brauchen wir an Schulen einen „digitalen CO2-Ausgleich?“, um sie zu einem lebenswerten Ort zu machen?

Vielleicht werden diese Fragen ja in einer der nächsten Konferenzen angesprochen. Bis dahin würde ich mich über eine vorgezogene Debatte in den Kommentaren freuen!

6 Kommentare zu “„Denken Sie Schule ganz neu“ – Der Kongress schulentwicklung.digital

  1. Die Beliebtheit der analogen Schule im Silicon Valley könnte darin begründet sein, dass dort die digitalen Möglichkeiten in einer deutlich intensiveren Form ausgeschöpft werden als hier. Wer morgens vom Google-Bus abgeholt und zur Arbeit gefahren wird, dabei über das buseigene WLAN schon mal seine Mails und Projektstände abrufen „darf“, wird die Schattenseiten dieser Vermischung von Arbeit und Freizeit gut kennen. Vermutlich wünscht man sich Schule dann wieder mehr als Schutzraum. Ähnliches gilt dann auch für die manchmal fehlende Kritik an den neuen Möglichkeiten, die die Digitalisierung für Schule bietet. Man könnte die Frage auch so formulieren: „Ist gesteigerter Lernerfolg das über allem anderen stehende Ziel von Schule?“ Viele der Angebote von Google, Apple und Microsoft führen schließlich direkt in eine Abhängigkeit von den Herstellern – das ist einer der Grundpfeiler des Geschäftsmodells. Solange die (nicht nur finanziellen) Kosten für die Umstellung eines Systems höher sind als die Kosten, welche bisher für das bestehende System angefallen sind, wird nicht gewechselt.

    Die Frage nach der Übertragbarkeit guter Ideen aus solchen Konferenzen in die Schule ist ein ziemlich kniffelige, denke ich. Szenen kränkeln häufig an ihrer Selbstreferentialität. Den Diskurs zwischen, überspitzt gesagt, analogen und digitalen Lehrer*Innen kann man daher wohl nur im Analogen, dem kleinsten gemeinsamen Nenner sozusagen, führen. Vielleicht gibt es welche, die bereit wären ergebnisoffen in einen solchen Prozess einzusteigen. So könnte man zeigen, dass es nicht die Digitalen sind, die jetzt alles übernehmen und zu den Gewinnern werden, während die Analogen zurückbleiben. Wichtig ist es alle in diesen Prozess einzubeziehen. Mathias Döpfner (Axel Springer Chef) beschreibt ganz schön, worauf bei der Transformation eines analogen zu einem digitalen Geschäft zu achten ist. Nicht 1-zu-1 übertragbar, aber sicher als Denkanstoß hilfreich: https://youtu.be/XNJk9x98F5g?t=4m24s

  2. Der Beitrag ist wirklich erhellend, zeigt er doch aus der Sicht eines Teilnehmers, dass die Stiftungen solche Events ganz offensichtlich zu größtem Teil für die Außenwahrnehmung veranstalten. Ohne jede demokratische Legitimation und nur auf dem Finanzkapital des/der Stifter existierend (und diesen alleinig verpflichtet) müssen sie permanent sicherstellen, dass sie als Akteur akzeptiert werden. Hierzu greifen sie auf bestehende Akteure und Communities zurück, wobei ihnen deren Meinung schon passen sollte, es aber vor allem wichtig ist, zeigen zu können, dass sie selber – als Stiftung – akzeptiert und durch den Verweis auf eben z.B. die „vielen Lehrkräfte“ legitimiert sind. Würden sie offen sagen, dass sie nur im Sinne und aus Mitteln von z.B. der Familie Mohn und deren Bertelsmannimperium, der Familie/Firma Bosch usw. agieren, würde das ihre Akzeptanz rapide schmälern. Die Frage die sich also einmal mehr stellt ist: Sind wir auf dem Weg in eine Stiftungsgesellschaft – und stehen nicht nur daneben sondern klatschen (ihnen) sogar Beifall?

  3. Danke für den informativen Bericht und auch den kritischen Blick. Wie du richtig bemerkst, suchen die Großen der Industrie (teils über Stiftungen) den Weg in den Bildungsmarkt. Edtech follows Fintec as the new frontier for technology and business. Es ist ein großer Markt mit gesicherten Einnahmen.
    Der kritische Blick darf bei aller Begeisterung nicht fehlen. Plattformen wie Google Classroom und Microsofts Lösungen für den Bildungsbereich können traditionellen Unterricht erstaunlich gut abbilden, finde ich. Sie erlauben einen noch stärkere Kontrolle der Schüler in ihrer Arbeit und ihren Leistungen. In den USA ist digital assessment sehr angesagt, Bewertung von Leistungen in der Plattform, Austausch mit Kolleginnen und Kollegen und Eltern über die Leistungen. Die Extremform stellt sicherlich die Gruppe von Schulen dar, welche ehemalige IT Leute gerade aufbauen, in welchen die Kinder komplett vermessen werden, bis zur Videoaufzeichnung. Big Data soll hier eine optimierte Individualisierung des Lernen ermöglichen, indem der einzelne aus den Daten vieler mit seinen Problemen vorhergesagt und bedient wird. Alles steuern intelligente Algorithmen. Die aber sind von Menschen gemacht und unterliegen somit Vorgaben, Ideen, Ideologien, …
    Eine digitalisierte Schullandschaft wird kommen. Es ist die Chance der frühen Einsteiger, nicht nur Wegbereiter zu sein, sondern auch den Vorsprung zu nutzen, um die Systeme kritisch zu hinterfragen und früh genug gegenzusteuern, solange dies noch möglich ist.

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  5. Pingback: Oktober 2016 – Rückblick auf einen denkwürdigen Monat « Medienistik Blog

  6. Aus meiner Sicht kommt das mit der Digitalisierung für viele Kinder zu früh. Bevor sie lernen andere Qualitäten aufzubauen, werden sie in die digitale Welt entlassen. Als ehemaliger Lehrer für mich der falsche Ansatz…

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