Verbot oder Vertrauen? Digitaler Jugendschutz in der Diskussion

gamescom logoAm 23.08.17 findet im Rahmen der gamescom ein Panel zum Thema „Jugendschutz im Real Life“ statt. Von 12:15 – 13:00 Uhr diskutiere ich dort gemeinsam mit Cornelia Holsten (Vorsitzende der Kommission für Jugendmedienschutz), Stephan Schölzel (Medienpädagoge) und Marie-Blanche Stössinger (Geschäftsführerin USK) – die Moderation übernimmt Marcus Richter.

Folgende Leitfragen werden im Zentrum der Debatte stehen: Wie zeitgemäß ist Jugendschutz heute? Vor welchen Herausforderungen steht er? Und wovor müssen Kinder und Jugendliche eigentlich geschützt werden? Als Einstimmung auf die Veranstaltung möchte ich in dem folgenden Artikel meine Position zu diesen (sehr komplexen) Fragen erläutern und somit vielleicht zu einer vorgezogenen Debatte des Themas in den Kommentaren anregen.

Wie ist der staatliche Jugendschutz organisiert?

Historisches Bilddokument: Eine bespielte Videokassette

Historisches Bilddokument: Eine bespielte Videokassette

In Bezug auf Computerspiele regeln gleich mehrere Gesetze den Jugendschutz in Deutschland, insbesondere das Jugendschutzgesetz (JuSchG) von 2001 und der Jugendmedien-Staatsvertrag (JMStV) von 2003.

Der rasante digitale Wandel hat jedoch dafür gesorgt, dass sich diese Texte wie ein Relikt aus einer anderen Zeit lesen. §12 des JMStV etwa beginnt mit den Worten: „Bespielte Videokassetten“.

Auch die detaillierten Regelungen für Geschäftsräume oder Büchereien sind im Zeitalter des Internets eher nebensächlich. Zwar hat die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) 2011 beschlossen, dass FSK und USK auch für Online-Medien zuständig seien. Dies gilt jedoch nur für Online-Angebote aus Deutschland, sobald Anbieter ins Ausland wechseln, sind sie vor den deutschen Behörden sicher.

De facto gibt es also z. B. für Online-Spiele keine Kennzeichnungspflicht, gleichzeitig existieren eine Vielzahl unterschiedlicher Wertungssysteme (z.B. IARC), die viele Verbraucher jedoch eher verwirren als unterstützen; zudem sind sie mit Ausnahme der deutschen Kennzeichnung nicht gesetzlich bindend.

Hat der Jugendschutz im Internet versagt?

Zwar versucht die USK es zu erschweren, Spiele ab 18 zu kaufen, eine kurze Umfrage in meinen Klassen zeigt jedoch, dass fast jeder einen Weg kennt, an solche Spiele zu gelangen, sei es über ältere Geschwister, den einen Verkäufer, der nie die Ausweise kontrolliert oder Guthabenkarten, die – obwohl mit einer „ab 18“-Kennzeichnung versehen – meist ohne Altersnachweis verkauft werden.

Der Vorsitzenden der Bundesprüfstelle Martina Hannak-Meinke ist daher beizupflichten, wenn sie die aktuelle Lage des Jugendmedienschutzes in einem Interview mit der FAZ wie folgt beschreibt:

„[D]ie wichtigste Lücke im Jugendmedienschutz bestehe gegenwärtig darin, dass es ,gar keine Regelungen gibt in Bezug auf Medien, die auf Interaktion aus sind’“.

Erläuterung für alle, die kein Behördendeutsch sprechen: Mit der Umschreibung „Medien, die auf Interaktion aus sind“ sind vor allem Online-Spiele gemeint.

Daher bekam die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) einen neuen Fachbereich, der sich speziell um den Jugendschutz im Internet kümmern soll. Dass diese Maßnahme eine spürbare Wende bringen wird, ist jedoch höchst zweifelhaft.

Das Internet ist für den Fachbereich einer deutsche Behörde mit 8 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einfach eine Nummer zu groß. Der Kölner Stadtanzeiger fasst die Situation daher treffend zusammen in der Schlagzeile: Bundesprüfstelle – Jugendschutz im Netz ist unzureichend

Wovor soll eigentlich geschützt werden?

DOOM, 1994 noch stark jugendgefährdend, wurde 2011 wieder vom Index gestrichen.

DOOM, 1994 noch stark jugendgefährdend, wurde 2011 wieder vom Index gestrichen.

Im Zentrum des Jugendschutzes steht die Frage, welche Inhalte es eigentlich sind, die Kinder und Jugendliche besonders beeinträchtigen. Jahrzehntelang war diese Debatte in Deutschland vor allem von der Darstellung fiktiver Gewalt geprägt, sei es in Computerspielen oder Filmen. Welche Darstellungen jedoch genau jugendgefährdend sind, ist selten objektiv beurteilbar. Dieter Baacke schrieb in Bezug auf dieses Dilemma bereits 1993:

Horror wird zum „Horror“ erklärt, also zum pädagogischen Problem, und gerade dadurch geben Pädagogen, gefangen in einer Spirale der Distanzierung, die Chance auf, in Beziehung zu Jugendlichen zu treten, die Horror mit Vergnügen konsumieren. (in: Baacke, D.: Befördern die Medien das Ende des Zivilisationsprozesses? In: GMK-Rundbrief 35/1993, S. 22.)

Man muss Gewaltdarstellungen und ihre Auswirkungen nicht verharmlosen, um Baacke hier zuzustimmen, denn Verbote und die Ächtung einzelner Medienprodukte sind zwar gut gemeint, verhindern aber manchmal auch, dass man sich ernsthaft mit der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen auseinander setzt.

Ich erlaube mir einen kurzen Exkurs: Auch ich habe als Jugendlicher „Horror mit Vergnügen konsumiert“, indem ich Spiele wie DOOM oder Quake gespielt habe, die damals wegen ihrer „realistischen“ Gewaltdarstellung auf dem Index standen. Der Grund? Keine Spiele machten damals mehr Spaß, wenn man sie gemeinsam mit Freunden spielte, außerdem waren sie wie digitale LEGO-Baukästen, es ließen sich eigene Levels bauen, die dann per Modem sogar übers Internet gespielt werden konnte, auch das damals ein absolutes Novum.

Aus Sicht vieler Pädagogen, Eltern und vor allem Journalisten dieser Zeit verbrachten wir unsere Zeit jedoch mit „Massenmörder-Simulatoren“; eine ernsthafte Diskussion über unser Hobby war unter solchen Voraussetzungen in der Öffentlichkeit kaum möglich.
Damit behaupte ich nicht, dass die Konfrontation Kinder und Jugendlicher mit fiktiver medialer Gewalt in Computerspielen und Filmen harmlos oder sogar wünschenswert sei, aber das Beispiel zeigt, dass die Wahrnehmung von Kindern und Erwachsenen gerade in Bezug auf Computerspiele oft sehr unterschiedlich ist.

Beschränkt sich auf rechtliche Informationen - Broschüre für Lehrerinnen und Lehrer der BPJM

Broschüre der BPJM, die Lehrkräfte zur Einhaltung der Gesetze ermahnt

In dem sehr empfehlenswerten Band „Mediale Gewalt“ schreibt Bernd Schorb, worauf es bei der Medienerziehung vor allem ankommen sollte, nämlich:

„Menschen zu befähigen, die Medien als selbständig Handelnde zu nutzen, also nicht nur zu konsumieren. […] Die Subjekte sollen die Medien >in-Dienst nehmen<, d. h. sie als Mittel zur Auseinandersetzung mit ihrer Lebenswelt gebrauchen, sei es als Mittel zur Exploration der Lebenswelt, sei es als Mittel zur Artikulation und Durchsetzung der eigenen Interessen, etc. Die Rezipienten sollen also zu Produzenten werden.“ (in: Bernd Schorb, Reflexiv-praktische Medienpädagogik – Raum und Stütze für selbstbestimmtes Mediennutzungslernen. S. 199)

Als Lehrer wünsche ich mir, dass sich der staatliche Jugendmedienschutz mir bei genau dieser Aufgabe hilft, aber Anleitungen zur Diskussion mit Jugendlichen sucht man vergebens. Stattdessen finden sich z.B. in der Broschüre mit dem vielversprechenden Titel „Der Einsatz von Filmen und Computerspielen im Schulunterricht“ lediglich Ermahnungen zur Einhaltung der rechtlichen Rahmenlinien.

Die Gewaltdebatte überlagert ein größeres Problem

Die Debatte um den Jugendmedienschutz und Computerspiele ist stattdessen noch immer von der Killerspiel-Debatte geprägt. Selbst 2017 führen daher Events wie die ESL One Cologne noch zu Schlagzeilen wie „Counter Strike: Eine Gefahr für die Jugend?“. Dabei zieht die technische Entwicklung mittlerweile ganz andere Probleme als furchteinflößende Pixel-Monster mit sich.

Ein Test der Stiftung Warentest hat diese Probleme jüngst auch dem Laien offenbart: Gratis-Spiele fürs Handy sind oftmals eine „kostenlose Kostenfalle“. Wörtlich heißt es in dem Bericht mit dem Titel „Pokémon Go, Minecraft & Co: So werden Kids mit Apps abge­zockt“:

Der Trick: Viele Apps sind so programmiert, dass Spieler zunächst in kurzer Zeit große Fort­schritte erzielen, dann aber ohne zusätzliches Spielgeld oder neue virtuelle Rohstoffe bisweilen stagnieren. Die Spieler können abwarten und leiden – oder die Ressourcen für harte Euro im App- oder Playstore erwerben und voran­kommen. Kosten und Nutzen sind oft ausgesprochen intrans­parent.

Fazit: Von den 50 getesteten Kinder-Apps wurde keine einzige als unbedenklich eingestuft. In-App-Käufe können bis zu 350,-€ kosten.

Medienpädagogik im Jahr 2017 muss also auch leisten, dass Kindern und Jugendlichen die Mechanismen durchschauen, mit denen ihnen – Micropayment für Micropayment – das Geld aus der Tasche gezogen wird. Der Einsatz von Gamification-Elementen ist dabei längst nicht mehr nur in Videospielen zu finden. Mit den gleichen Mitteln steigern nebenbei erwähnt auch Amazon und eBay ihre Verkäufe.

Wie sollen Eltern und Bildungseinrichtungen reagieren?

Wie gesagt: Ich kann jeden verstehen, der angesichts der komplexen Herausforderungen der digitalen Welt nach drastischen Maßnahmen ruft. Das Verbot von Handys und dem Internet für Kinder und Jugendliche wäre natürlich eine bequeme Lösung, aber sie ist nicht ansatzweise realistisch. Die Digitalisierung wird weiter voran schreiten und der soziale Druck auf Kinder und Jugendliche, die entsprechende Technik zu besitzen, wird wohl auch nicht abnehmen.

Die einzig vernünftige Reaktion in einer solchen Situation ist es, in die Offensive zu gehen. Wichtig ist, dass Kinder und Jugendliche die Funktionsweise der Technik, die sie nutzen, besser verstehen. Darauf aufbauend (und nur darauf aufbauend) kann thematisiert und verstanden werden, wie Apps und Programme so gestaltet werden, dass sie gerne benutzt werden und z. T. sogar ein suchtartiges Verhalten auslösen können.

Jugendmedienschutz im 21. Jahrhundert kann nicht mehr nur mit Verboten arbeiten. Damit er gelingt, muss man auf Kinder und Jugendliche zugehen. Wie das konkret aussehen kann, zeigen z. B. die SCHAU-HIN-Iinitiative oder Angebote der Bundeszentrale für politische Bildung wie spielbar.de.

Diese Pädagogik gründet letztendlich nicht in einer blinden Technikeuphorie, wie sie Medienpädagogen gerne vorgeworfen wird, sondern basiert auf den Idealen der Aufklärung, der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, dem Wunsch von Bertolt Brecht, das Radio aus einem Distributions- zu einem Kommunikationsapparat zu verwandeln und der Forderung von Hans Magnus Enzensberger, aus Medienmanipulierten Medien-Manipulateure zu machen. Die digitale Welt soll Stück für Stück entschlüsselt und transparent gemacht werden, um ein mündiges Nutzen dieser Medien überhaupt erste zu ermöglichen.

Aber da in dieser komplexen Thematik das letzte Wort sicherlich noch nicht gesprochen ist, freue mich auf eine angeregte Diskussion in den Kommentaren. Was soll sich ändern im Jugendschutz? Welche Fragen oder Thesen soll ich noch mit in die Diskussion einbringen? Und vielleicht sieht man sich ja am 23.8. von 12.15 – 13 Uhr auch live auf dem gamescom-congress.

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