Medienpasskongress NRW – Startschuss für die digitale Bildungsrevolution?

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Großer Andrang beim Medienpasskongress in Essen

Die Umsetzung der digitalen Bildung an Deutschlands Schulen ist eine Mammutaufgabe, die derzeit jedes Bundesland auf seine Art zu meistern versucht. Im Kern geht es um die Frage, wie die der Beschluss „Bildung in der digitalen Welt“ der Kultusministerkonferenz am effizientesten umgesetzt werden kann.

Auf dem „Medienpasskongress“ im Haus der Technik in Essen wurde nun am Freitag präsentiert, wie sich Nordrhein-Westfalen die digitale Zukunft seiner Schulen vorstellt.

Gleich zu Beginn wurde der Medienpass von Stefan Drewes, dem Leiter der Medienberatung NRW, als „Erfolgsmodell“ bezeichnet. In das gleiche Horn bliesen auch die übrigen Redner. Prof. Eickelmann von der Uni Paderborn schwärmte davon, der Medienpass werde Initiativen „mit Qualität füllen“. Viele Schulen haben den Medienpass „toll genutzt“ und er sei mittlerweile „sehr gut etabliert“.

Lediglich Ulrich Wehrhafter vom Ministerium für Schule und Bildung gab zu bedenken, dass Schulentwicklung im Bereich der Medienpädagogik nicht zentral gesteuert werden kann und keine Lehrkraft „abstrakte Programme“ benötigt, sondern konkrete Beispiele, wie man den Unterricht verbessern kann.

Im Zentrum aller Bemühungen steht dabei der „Medienkompetenzrahmen NRW“, der früher einmal Bestandteil des Medienpasses war, der eigentlich aus drei Teilen bestand, wovon einer der Medienpass war. Zu kompliziert? OK – beginnen wir mit einer kurzen Begriffsklärung:

Was ist der Medienpass?

Der Medienpass wurde vor nunmehr 8 Jahren ins Leben gerufen und gleich von Beginn an erschlossen sich Konzept und Nomenklatur nicht auf Anhieb. Der „Medienpass“ bestand nämlich aus drei Bausteinen: dem „Kompetenzrahmen“ (damals noch mit nur fünf statt nunmehr sechs Bereichen), dem „Lehrplankompass“ und einem gedruckten „Medienpass“, in dem Lehrkräfte erworbene Kompetenzen mit einem Stempel bestätigen konnten. Der Medienpass war Bestandteil der Strategie „Lernen im Digitalen Wandel“ bzw. „NRW 4.0“. Wer möchte, kann dazu noch meinen alten Blogbeitrag vom März 2016 lesen.

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Der Medienpass wurde nun eingedampft auf den Kompetenzrahmen. In der auf dem Medienpasskongress ausgeteilten Broschüre findet sich daher das Wort „Medienpass“ kein einziges Mal. Stattdessen wird nun nur noch vom „Medienkompetenzrahmen NRW“ gesprochen. Lediglich die URL www.medienpass.nrw.de existiert weiterhin und auf sie wird auch in der Broschüre verwiesen.

Um die Verwirrung komplett zu machen, findet sich auf der Internetseite dann noch die Formulierung „Kompetenzrahmen Medienpass NRW“. Hier sollte unbedingt nachgebessert und klar gestellt werden, dass – wenn ich richtig verstanden habe – der Medienpass nicht mehr existiert und dann sollte man vielleicht langfristig auch einen anderen Namen für den Kongress finden.

One Size Fits All

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Das Programm des Medienpasskongresses

Ebenfalls neu am „Medienkompetenzrahmen NRW“ ist, dass die eingeforderten Kompetenzen nun sowohl für die Grundschule als auch für die Sekundarstufe I gelten. Dieses aus meiner Sicht nicht ganz unproblematische Konzept wurde auf dem Kongress nur kurz in einem Vortrag von Prof. Eickelmann angesprochen: Angeblich werde so einem „Bruch“ zwischen Grund- und Sekundarschule vorgebeugt. Sehr überzeugend klingt diese Argumentation für mich jedoch nicht.

In der Praxis sieht es jetzt so aus, dass die eingeforderten Kompetenzen in unterschiedlicher Tiefe behandelt werden sollen, je nach Schulstufe. In der auf dem Kongress ausgeteilten Broschüre findet sich unter dem Kompetenzbereich 6 (Problemlösen und Modellieren) beispielsweise folgende Konkretisierung (S. 22 f.):

„Grundschulkinder am Ende der Klasse 4 erkennen algorithmischen Muster und Strukturen in verschiedenen Kontexten, z. B. bei Verkehrsschaltungen auf dem Schulweg, und können diese nachvollziehen und reflektieren. […]

Jugendliche am Ende der Sekundarstufe I erkennen algorithmische Muster und Strukturen in verschiedenen Kontexten, z. B. bei Suchmaschinen oder im Rahmen von Social-Media-Angeboten, und können diese nachvollziehen und reflektieren.

20180302_105531Wie „algorithmische Muster“ in der Grundschule thematisiert werden können, erklärte Prof. Eickelmann anhand eines Eiscreme-Stapels (siehe Bild links).

Von der Eistüte zum Durchdringen des Google-Algortmusses ist es jedoch ein weiter Weg, den in erster Linie die Lehrkräfte selbst gehen müssen. Deren Schulung muss also in den kommenden Jahren an erster Stelle stehen, um die ambitionierten Forderungen des Medienkompetenzrahmens NRW überhaupt in die Tat umsetzen zu können.

Perspektiven der Lehrerbildung

Diese Aufgabe sollen vor allem die Medienberater übernehmen, die eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Medienpasses spielen. Sie sollen in Zukunft zu „Schulentwicklungsplanern“ fortgebildet werden und die Schulen bei der Umsetzung des Medienkompetenzrahmens behilflich sein. Auch die Kompetenzteams sollen alle im Bereich der digitalen Bildung fortgebildet werden. Zudem sollen mehr Gelegenheiten zur Zusammenarbeit geschaffen werden. So soll der Medienpass „alle Bereiche durchdringen“ und auch in der Lehrerbildung zum Einsatz kommen.

Auch über die Finanzen wurde übrigens kurz gesprochen. Hier erwartet das Land u. a. aufgrund des Digitalpakts und der Bildungspauschale eine – so U. Wehrhöfer wörtlich – „kommunale Reichtumsproblematik“. Angeblich wisse man gar nicht, wohin mit dem ganzen Geld und wolle Schulen eher davor bewahren, das Geld vorschnell und unüberlegt auszugeben.

Eine Einladung für die Industrie?

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Eine Apple-Broschüre? Nein – nur 10 der 12 Bilder aus dem Medienkompetenzrahmen NRW

Apropos Geld: Wer die neu gedruckte Broschüre für den Medienkompetenzrahmen NRW aufmerksam durchblättert, dem fällt auf, dass von den 12 Fotos zehn ein oder mehrere iPads zeigen. Sicherlich nur Zufall, aber der Einfluss der großen Konzerne war auf dem Medienpasskongress war unübersehbar. Hier ein paar Beispiele der Workshops, die auf dem Kongress gehalten wurden:

  • „SmartSchool – Gemeinsam auf dem Weg zur Schule von morgen!“ Wie auf der Homepage nachzulesen ist, wird dieses Projekt von Microsoft gesponsert, die gesamte Infrastruktur der vorgestellten Schule basiert auf der „Lernplattform“ Office 365, bei der alle Schüler und Lehrer ein Konto besitzen.
  • „Jeder kann programmieren“, behauptet Apple in seinem Workshop auf dem Medienpasskongress. Gezeigt wurde der Umgang mit der Programmiersprache „Swift“, die allerdings ausschließlich auf Apple-Geräten läuft.
  • „Erste Schritte in die Welt des Programmierens“ versprach einer von zwei Workshops der Initiative „Code your life“, die ebenfalls von Microsoft gesponsort ist. Gleich zu Beginn des Workshops wurde deshalb darauf hingewiesen, dass „Code your life“ natürlich pädagogisch völlig unabhängig sei. Christian Füller hatte dazu auf Twitter jedoch einige berechtigte Anmerkungen zu machen:

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Initiativen wie Code your life machen keinen Hehl aus ihrer Kooperation mit Microsoft und der Absicht, Lobbyarbeit mit „Politikern vor Ort“ zu betreiben.

Dass die genannten Konzerne einerseits alles tun, um keine Steuern zu zahlen und sich andererseits als Wohltäter im Bildungsbereich profilieren, hat einen mehr als nur faden Beigeschmack.

Für Europa hat die ZEIT eine interessante Rechnung aufgemacht. Allein mit den 117 Millionen in Europa verkauften iPhones hat Apple ca. 34 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Geschätzt hätte der Konzern dafür 9 Milliarden Euro Steuern zahlen müssen, tatsächlich gezahlt wurde jedoch wahrscheinlich nur ca. 1 Milliarde. Mit den verlorenen 8 Milliarden hätten über 20 Millionen iPads an Schülerinnen und Schüler kostenlos verteilt werden können.

Dass diese Konzerne nun auch noch vom Geld der Steuerzahler (etwa durch den Digitalpakt) profitieren sollen, indem sie ihre Hardware und Dienstleistungen an die Schulen verkaufen und sie so auch noch langfristig an sie binden, ist im Grund genommen ein Skandal, der auf dem Kongress aber ebenfalls nicht thematisiert wurde.

Es bleibt also an den Lehrkräften, die Kompetenz „Informieren und Recherchieren“ vielleicht einmal mit den Panama Papers einzuüben. Die Ergebnisse können dann wahlweise im Google Drive, der iCloud oder in Office 365 gespeichert werden.

Negative Folgen bedenken

Bestandteile der

Bestandteile der „Internetnutzungskompetenz“ nach Prof. Brand

Der wertvollste Beitrag am gestrigen Tag kam übrigens von dem Psychologen Prof. Dr. Brand, der sein Konzept der „selbstregulierten Mediennutzung“ in Bezug auf die Bekämpfung von Internetsucht vorgestellt hat. Er untersucht mit einem großen Team seit Jahren die Frage, warum bei gleichem Konsum die einen süchtig werden und andere nicht.

Zunächst gebe es so genannte „Vulnerabilitätsfaktioren“, etwa Psychopathologien wie Depression oder ADHS. Ein direkter kausaler Zusammenhang zur Internetsucht sei jedoch schwer nachweisbar.

Des Weiteren wurde darauf eingegangen, was viele Internetangebote so interessant macht: Sie sind schnell verfügbar, haben einen hohen Aufforderungscharakter und vermitteln ständig Belohnungen. Viele nutzen diese Angebote als Möglichkeit zum Eskapismus, aber bei 1-3% der Bevölkerung entwickelt sich ein suchtartiges Verhalten. Die Symptome dieser Internetsucht lauten wie folgt:

  • Kontrollverlust
  • Weiterer Konsum trotz negativer Konsequenzen
  • Salienz/Preoccupation
  • Starkes Verlangen („Carving“)
  • Entzugssymptome (z. B. Nervosität)
  • Konflikte (am Arbeitsplatz/Schule, mit anderen Personen)

Damit es gar nicht erst zum Teufelskreis der Suchtspirale kommt, müsse bei Kindern und Jugendlichen die Selbstregulation gestärkt werden, so Brand. Lehrkräfte sollten dazu neue Medien nicht verteufeln, sondern ihnen „neutral wohlwollend“ gegenüberstehen.

Viel mehr Tipps zur konkreten pädagogischen Umsetzung konnte Brand leider nicht geben, aber dennoch schaffte er in seinem Vortrag das, was andernorts fehlte: er zeigte auf, was das eigentliche Ziel einer Arbeit mit dem Medienkompetenzrahmen NRW sein könnte: Kinder und Jugendliche zu mündigen, selbstbewussten Individuen im digitalen Zeitalter zu erziehen. So formuliert würden nämlich auch skeptische Lehrkräfte viel besser abgeholt werden als mit der Präsentation der neusten Technik-Gadgets.

Fazit: Es kommt auf die Lehrkraft an

Im jetzigen Modell steht und fällt alles mit der Arbeit der Lehrkräfte. Es liegt an ihnen, mit dem Medienkompetenzrahmen tolle Unterrichtsreihen zu entwickeln und ihren Schülerinnen und Schülern die Funktionsweise der digitalen Welt zu erschließen.

Daher lautet mein dringender Appell an alle Entscheidungsträger: Wir Lehrkräfte brauchen jetzt Hilfe: Hilfe beim technischen Support der Geräte, die in unsere Klassenzimmer kommen, Hilfe bei der Erstellung kreativer Unterrichtsideen und Hilfe, damit unsere Schulen nicht von Apple, Microsoft oder Google vereinnahmt werden.

Wenn demnächst also Geld im Überfluss vorhanden ist, sollte beim Ausgeben an erster Linie daran gedacht werden, wie Lehrkräfte fit fürs digitale Zeitalter gemacht werden können. Und vielleicht fließt ein Teil des Geldes ja auch in die Unterstützung kleiner Start-ups, die ohne das Geld großer Konzerne und Aussicht auf Riesengewinne für Investoren Schülern und Lehrkräften zeigen können, wie man digitale Bildung mit kostenloser Open Source Software, OER-Materialien und günstigen Mini-Computern wie dem Raspberry Pi realisieren kann.

Zum Abschluss interessiert mich aber wie immer Deine Meinung, liebe Leserin bzw. lieber Leser. Ist der Medienkompetenzrahmen NRW ein geeignetes Mittel, die digitale Bildung in unserem Land voranzutreiben? Müssen Schulen sich vor der Macht von Apple, Google & Co. fürchten? Schreib doch einfach einen Kommentar unter diesen Artikel, um Dich an der Diskussion zu beteiligen – ich freue mich über jeden Beitrag!

4 Kommentare zu “Medienpasskongress NRW – Startschuss für die digitale Bildungsrevolution?

  1. Danke für diesen interessanten Beitrag. Es ist schon „krass“ wie die Digitalisierung voran schreitet. Wir sind eine Online Marketing Agentur aus Hannover und wir bilden aus. Es ist erstaunlich, dass die Schulen unserer Auszubildenden noch nicht so weit sind, dass diese mit dem eingeführten DIGITALEN Unterricht, ist ja an sich ein guter Schritt, arbeiten können. Viele Lehrer sind damit überfordert und die entsprechenden Schulungen fehlen. Der Beitrag von der FAZ trifft es wirklich sehr gut und ergänzt diese Beitrag perfekt.

    Wir sind froh das Aufklärung im Netzt betrieben sind und hoffen, das kann etwas bewirken. Auch wir bloggen über ähnliche Themen.

    Danke für den Blog, wir leiten das an unsere Auszubildenden auf jeden Fall weiter, die sollen das mal im Unterricht diskutieren/besprechen.

  2. Ein schöner Artikel. Als kommunales Medienzentrum (Hessen) sind wir ja einer dieser Player im Bildungssystem, die diese Materialien, Workshops, Beratung etc. liefern. Daher kenne ich diese Situation aus Organisatoren-Sicht sehr gut: Der Wunsch ist eine gute nützliche Veranstaltung/Angebot zu organisieren und kennt primär bewährte Formate. Dann gibt es da viele gute nützliche Dinge in der Welt und die möchte ich alle ausprobieren. Ich kann das dann immer nur Stück für Stück. Auf der einen Seite braucht es immer eine kontinuierliche Erprobung neuer Wege, auf der anderen Seite verbraucht das jedes Mal sehr viel Ressourcen und auch einen Fehlschlag gilt es zu vermeiden, d.h. das Risiko. Wie schafft man nun diesen Weg von den neuen Innovationen in ein praxisnahes und erprobtes Mittel?

    Ganz besonders gut finde ich dabei das Format Barcamp. Das machen wir bei uns mit den Digitalen Helden und Heldenbegleitern gemeinsam. D.h. es klappt sogar, wenn sich Lehrer und fähige Schüler gegenseitig fortbilden 🙂
    Barcamp 2017 (dort war auch der Herr Kultusstaatssekretär dabei): https://www.youtube.com/watch?v=s03WWAR8Ei4
    Barcamp dieses Jahr ist auch im Channel

    Das Netzwerk außerhalb der Veranstaltung finde ich sogar am Wichtigsten.
    Wie würdet ihr gewinnbringend Veranstaltungen oder sogar Netzwerke organisieren?

  3. Pingback: Schulen fordern zu recht: digitale Ausstattung, technische Wartung und Betreuung | Das macht Schule

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